Spieltag: RasenBallsport Leipzig - FC St. Pauli

Spieglein, Spieglein ...

„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“
Wohl beinahe jedes Kind in Deutschland kennt die böse Königin, ihren selbstverliebten Blick in den Spiegel und ihre Verderben bringende Reaktion auf die Wahrheit, die sie nicht erträgt.

Auch Alexander Zorniger, der Trainer von Rasenballsport Leipzig hat's mit Spiegeln:
„Das Problem ist für viele das System und dass wir der ganzen Liga und dem professionellen Fußball extrem den Spiegel vorhalten.“ sprach er unlängst. „Und damit haben einige brutale Probleme. In den ersten drei Ligen im Fußball geht es um nichts anderes, als um Gewinne zu generieren. Wenn das ein Traditionsverein macht, dann wird das mit der Tradition akzeptiert, bei uns aber nicht.“

Wo ist das Phrasenschwein, wenn man's grad mal braucht?! Aber ist Rasenballsport wirklich die Antwort auf eine Frage, die der professionelle Fußball stellt? Und wenn ja, auf welche?

Das Stellen der richtigen Fragen ist im Erkenntnisprozess wahrscheinlich sowieso viel wichtiger als das Finden der einen richtige Antwort (die ja sowieso „42“ lautet).

Ich probier's mal: Zwei ökonomische Prinzipien gibt es, so erzählt ein betriebswirtschaftlich studierter Freund stets - aus denen muss man doch Fragen formulieren können:

1. Wie erziele ich aus den verfügbaren Mitteln den größtmöglichen Erfolg? (Maximalprinzip)
Diese Frage stellen sich vermutlich fast alle Clubs. Nach der fußballspezifischen Antwort wird alljährlich global geforscht, in den meisten Fällen vergebens. Die Frage scheint hier tatsächlich eher die Triebfeder selbst, der Weg das Ziel zu sein. Aber beantwortet RBL uns diese Frage? Schwerlich. Die Vergleichbarkeit ist nicht gegeben. In der Marktwertanalyse rangiert der Aufsteiger mit knapp 20 Mio Euro auf Rang 3, knapp hinter Düsseldorf und vor Fürth. Spannend ist aber die negative Transferbilanz von über 11 Mio Euro („Es geht darum, Gewinne zu generieren.“), also deutlich mehr als die Hälfte des aktuellen Marktwert des Kaders, beinahe zehnmal so hoch wie die der Düsseldorfer! Die Größenordnung von 11 Millionen in der Transferbilanz erreicen übrigens im deutschen Fußball nur noch – und es passt einfach so schön – Hoffenheim und Leverkusen. (Lediglich die Herren Watzke und Zorc übertrafen diese Marke. Das allerdings gleich mal deutlich mit über 50 Mio.)
Zur Frage zurück: Ob also RB Leipzig tatsächlich einen größtmöglichen Erfolg aus gegebenen Mitteln erzielt, lässt sich nicht sagen, da die Mittel mit keinem der Wettbewerber vergleichbar sind.
Daher eine andere Frage:
2. Wie erreiche ich ein gestecktes Ziel mit möglichst wenig eingesetzten Mitteln? (Minimalprinzip)
Wie lautet denn das Ziel der Leipziger? Die Fachwelt ist sich einig: schnellstmöglicher Bundesligaaufstieg. Aus Leipzig selbst hört man dazu wenig. Nach mehr als respektablem Beginn, rutschten die Leipziger ins Mittelfeld der Tabelle zurück. (Aufbaugegner Nummer 1 kommt ja rechtzeitig am Wochenende.) Trainer Zorniger sprach zuletzt sogar davon, dass ein Aufstieg RBL schaden würde. Also auch hier Fehlanzeige: Solch enorme Mittel für Mitteleld oder Klassenerhalt?
Ralf Rangnick ist der Mann, der perfekt zu den Ambitionen Red Bulls/Rasenballsports passt. Stets erfolgreich, wenn er mit viel mehr Geld als die Konkurrenz in den Niederungen des Profifußballs agieren durfte. Aber der Fußballprofessor steht wahrlich nicht für ein Minimalprinzip.

So komm ich mit Zorniger und seinem Spiegel nicht weiter. Vielleicht sind es tatsächlich die Brüder Grimm, an die ich mich halten sollte:
„Wer ist die Schönste im ganzen Land?“
Wo die Schönheit liegt, weiß jederman, und dort, wo sie liegt, da liegt sie auch genau richtig: im Auge des Betrachters. Deswegen spielen unsere Boys in Brown ja auch beim schönsten Club, obgleich, das Braun in diesen Tagen sehr greulich-gräulich daherkommt.
So dürfte also auch der gute Alex aus Leipzig gern in den Spiegel schauen und sich sagen: „Ich, ich bin die Schönste!“ Aber das wollte er ja nicht. WIR alle sollen hineinsehen. Und Schönheit entdecken? Suchen wir dort nicht die, die in des Betrachters Auge liegt, sondern eine wirkliche, eine echte! Wenn wir sie gemeinsam suchen, finden wir sie. Die Masse macht's: Schließlich behauptete schon Kant, dass das Mittelmaß "das Grundmaß und die Basis aller Schönheit selbst" sei und die Schönheit könne daher den Anspruch subjektiver Allgemeinheit erheben. Aber wenn wir alle gemeinsam hinschauen, sagt uns dann der Spiegel: „...aber RBL hinter den Bergen bei den sieben Zwergen sind noch viel schöner als ihr“? Wohl nicht. Dafür fehlt dem Mädel einfach zu viel.
Aber neidisch auf die Anerkennung und die Liebe, die den anderen zuteil wird, scheint die böse Königin doch zu sein.
Doch Liebe muss wachsen, Herzen werden nicht der erstbesten chirurgisch verbesserten Dirne hinterhergeworfen. Auch nicht auf Sankt Pauli. Und dies fehlt den ehrgeizigen Bullen aus Sachsen/Österreich einfach. Daher verunglimpfen sie die Tradition. Oder fehlt ihnen nur die Anerkennung und der Respekt? Aber Anerkennung wofür? Stadion zur WM gekriegt, 51 der 90 Millionen Baukosten hat der Bund bezahlt. Der Etat für die Mannschaft kommt aus Österreich. Existenz und Lizenz gibt’s nur wegen der Schlupflöcher in den Statuten von DFB und DFL. Da bleibt nicht viel. So gesehen ist RBL wirklich ein hässliches Entlein des deutschen Fußballs. Vielleicht will Zorniger ja deshalb die anderen in den Spiegel schauen lassen.
Der Mainzer Manager Christian Heidel hat offenbar hineingeschaut und düster festgestellt: "In ein paar Jahren haben wir neben den Bayern, Dortmund und Schalke vielleicht nur noch solche Vereine wie Wolfsburg, Hoffenheim oder Leipzig."
Vielleicht sollten wir alle in Zornigers Spiegel sehen.
Wenn ich das tue, sehe ich die Liebe zu meinem Club. „Man liebt einen Menschen nicht wegen seiner Stärke, sondern wegen seiner Schwächen.“, sagt Tilla Durieux. Und mein FC ist nicht mehr nur ein Club für mich, dafür ist er im letzten Vierteljahrhundert zu sehr Teil von mir geworden. Mein Club, mit dem ich ringe, streite, den ich verfluche und der mich nicht loslässt, wo immer ich auch bin, wo immer er auch ist, seit ich einst in den Bäumen über der Nord angefangen habe. Und ich sehe viel Leiden. Ich sehe Falten und graue Haare von denen etliche sicher auf das Konto meines Vereins gehen. Und ich sehe immer die Hoffnung. Dann wünsche ich mir, dass am Sonntag Prinz Thomas daherkommt mit seinen elf Zwergen, die zu Riesen werden und meine Schöne befreit und rettet und wieder glücklich macht. Und mit ihr rettet er auch gleich das Königreich, damit es nicht all den bösen Königinnen anheim falle.
Ach! Meine Schöne, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so braun wie das Holz!
Und möge er böse Königinnen über die glühenden Kohlen laufen lassen.


Ich wache auf. Reibe mir die Augen. Was träume ich nur immer für ein Zeug!
Ich sollte meiner Tochter keine Märchen vorlesen und dabei an den nächsten Gegner denken. Er ist sowieso immer der schwerste. Meine Tochter lächelt im Schlaf. Alles wird gut.




Sonntag, 23. November, 13:30

Rasenballsport Leipzig vs. FC St. Pauli

You'll never walk alone!
This contribution was last edited by Tobster on Nov 20, 2014 at 9:12 AM hours